Reisen in Tyria: Kapitel vier
ArenaNet hat in einem neuen Blogpost das vierte Kapitel rund um den Moa Momo und ihre Asura-Herrin Vikki veröffentlicht. Die Hintergrundgeschichte wurde live auf einer Messe entwickelt und hier findet ihr Teil 1, Teil 2 und Teil 3 dazu.
Als wir die Grenze Krytas passierten, war bereits die Dämmerung angebrochen. Damit war mein Plan, Momo etwas Freilauf zu lassen, über den Haufen geworfen. Die Dunkelheit sorgte außerdem dafür, dass ich erst in Shaemoor merkte, dass sich in den Bäumen hinter uns etwas bewegte.
Ich kauerte mich auf der Straße hin, um Momo einen Apfel zu geben. Dabei sah ich mich um. Da ich nichts erkennen konnte, beobachtete ich stattdessen Momo, die sich vor Anspannung aufplusterte und pfiff – natürlich erst, nachdem sie ihren Imbiss verputzt hatte. Was auch immer hinter uns war, hatte aufgehört, sich zu bewegen, als wir anhielten.
Ich versuchte, mir einzureden, dass wir wegen des Halloween-Fests ein bisschen angespannt waren. Angeblich soll König Oswald Thorn jedes Jahr nach Löwenstein zurückkehren, um Kryta heimzusuchen. Doch der Rest des Königreichs bot eine ebenso unheimliche Stimmung. Auf unserem Weg kamen wir an Vogelscheuchen vorbei, deren Kürbiskopfe bereits vermoderten. Leute in bizarren Kostümen stapften durch die Felder und man reichte mir sogar einen Zettel, der ein Halloween-Bühnenspektakel bewarb. „Lasst die Finger von seltsamen Türen.“, warnte mich ein Schankwirt. „Sie können überall auftauchen.“.
Zu dieser Jahreszeit bot vieles auf dem krytanischen Land Anlass zum Gruseln. Skelk zum Beispiel. Oder Banditen. Ich zog Momo weiter.
Ein Späher zeigte mir den Weg zum Moa-Hof. Der Hof war winzig, doch die Vögel dort schienen bester Laune zu sein. Als Momo und ich eintrafen, wurden die Vögel gerade in den Stall gebracht. Mepi, der Besitzer des Hofs, hielt ein, um mich am Tor zu empfangen. Ich erklärte den Grund für unser Kommen und entschuldigte mich für das Erscheinen zu solch später Stunde.
„Ich werde sie mir morgen ansehen.“, sagte Mepi. „Habt Ihr einen Platz zum Schlafen?“.
„Nein“, gestand ich ein.
„Nun, warum kommt Ihr nicht rein? Es ist kein Palast, aber dafür habt Ihr ein Dach über dem Kopf. Wir holen die Strohmatratze raus. Ihr könnt mit Cassie und mir zu Abend essen.“
Das Angebot war sehr großzügig. Die krytanischen Bauern besaßen nicht viel. Nur das, was sie selber herstellten. Und ich war eine Fremde. Trotzdem war mir bei dem Gedanken, die Nacht dort zu verbringen, etwas unwohl. Was würde ich sagen, wenn sie mir aus Höflichkeit etwas Gutes tun wollten? Was, wenn ich Mist baute und versehentlich Schaden am Haus machte? Was, wenn sie Moa-Fleisch auftischten?
„Das ist sehr nett von Euch, aber Momo wird in fremder Umgebung etwas unruhig.“ Ich verschränkte meine Hände, um sie stillzuhalten. „Wäre es in Ordnung, wenn ich hier bei ihr im Stall bleibe?“
Mepi rieb sich das Kinn. „Ich weiß nicht. Wir hatten hier viel Ärger mit Banditen. Nachts zeigen sie sich in letzter Zeit aber seltener. Es liegt wohl an der Jahreszeit … Aber ich denke, es ist in Ordnung, solange Ihr bei den Moas bleibt.“
„Was meint Ihr?“, fragte ich.
„Wartet einen Moment.“ Mepi schlenderte in Richtung Haus. „Ich hole Euch eine Decke.“
Ich legte die Decke über meine Schultern und richtete mich zusammen mit Momo im Stall ein. Mit ihrem Schnabel putzte sie meine Haare und rollte sich dann zusammen. Dabei schmiegte sie sich an mich. Ich lehnte mich an sie und legte die Füße auf mein Gepäck. Momo gab ein ziemlich bequemes Kissen ab.
Da hüpfte plötzlich irgendetwas in meinen Schoß. Ich fuhr hoch. Ein Paar hellgrüner Augen blickte mich an. Kleine Pfoten stapften auf meinem Bauch herum und ein Schnurren erfüllte meine Ohren. „Oh“, atmete ich auf. „Nur ein Kätzchen.“
Die kleine schwarze Katze schmiegte ihre Nase an mein Kinn und machte es sich auf meinen Beinen bequem. Momo öffnete ein Auge, nur um es dann schnell wieder zu schließen. Der Neuankömmling schien sie nicht weiter zu beeindrucken. Ich entspannte mich wieder. Das war gar nicht so übel. Das Gras duftete süßlich, nicht weit von uns trillerten die Moas zufrieden und aus den Fenstern von Mepis Haus drang ein sanftes, goldenes Licht. In meiner Zeit am Kolleg hatte ich schon an schlimmeren Orten genächtigt.
Mit einer Hand unter der Schnauze der Katze schloss ich die Augen.
Ich träumte, ich fiel von einem sternenbesetzten Himmel herab. Unter mir wirbelte ein grünes Miasma. Als es aufriss, war ich mitten in der Luft. Unter mir erstreckte sich eine riesige, verdrehte Landschaft aus Schwarzstein, unförmigen, verdorrten Bäumen und seltsamen Feuern. Ein schadhafter Pfad zog sich durch die Landschaft. Er führte auf einen Friedhof, in dessen Mitte ein einsames Mausoleum auf einer Steinsäule thronte. Ich hörte Gelächter und Schreie. Als ich näher darauf zu raste, sah ich ein Labyrinth voller Leute. Sie rannten, kämpften und tanzten, während sie ihre Runden durch das Labyrinth zogen. Nein, es waren nicht einfach irgendwelche Leute – es waren Kreaturen. Über diesem Chaos leuchtete der Mond mit einem Grinsen.
Ich kniff meine Augen fest zusammen. Als ich sie wieder öffnete, stand ich auf einer Klippe und sah auf das Labyrinth herab. Es drängten sich noch mehr Leute um mich herum. Sie kamen und gingen durch eine Tür, die in die sternenbedeckte Leere führte. Unheimlich waren sie, und irgendwie unecht. Da war eine Menschenfrau in einem Samtkorsett, ein Sylvari mit Hörnern und riesigen Fledermausflügeln und ein Asura mit einer lodernden Kürbiskopfmaske. Sie alle trugen Waffen. Ein paar von ihnen begaben sich zum Rand der Klippe, stellten sich auf ein Sigill und verschwanden dann in einem Windstoß.
Momo war in der Nähe. Sie sah sich eine große Kalebasse an. Als ich auf sie zuging, ertönte eine raue Stimme. „Nun denn. Was darf es sein?“
Ich drehte mich um. Auf einer steinernen Plattform nahe dem Klippenrand stand ein Charr. Er lehnte sich auf einen Stab. Der Charr trug einen zerfledderten Schleier, eine Augenbinde und Ketten. Seine Hörner waren kurz heruntergesägt. Immerhin sah er wie ein Charr aus – sein Schwanz leuchtete glutrot.
„Ich?“, fragte ich mit piepsiger Stimme.
Der Charr streckte seinen Stab aus. An seinem Ende baumelte eine grün leuchtende Laterne, die von einer Skelett-Hand umfasst war. „Ja. Bringt Ihr es fertig, den Uhrturm zu erklimmen? Wollt Ihr im Labyrinth an der Parade des Todes teilnehmen?“.
Ich hielt die Hand schützend vor die Augen und fand meine Stimme wieder. „Keins von beiden, bitte.“.
Er ließ sich auf alle viere fallen und streckte seinen äußerst langen Hals in meine Richtung. Er schnaubte. „Seid Ihr nicht wenigstens ein kleines bisschen neugierig?“.
Das Labyrinth war zu groß. Das Geschrei und das Gelächter waren zu viel für mich. Die Leute, die an mir vorbeischritten, waren mächtig und gefährlich. Ich fühlte mich komplett verloren.
„Nein, ich danke Euch.“ Ich rieb meine Arme. „Ich würde gerne wieder dorthin zurück, wo ich vorher war.“
Der Charr fletschte die Zähne. „Dann lauft weg“, sagte er. „Lauft dorthin zurück, wo Ihr hergekommen seid.“
Mit Momo im Schlepptau flüchtete ich zur Tür. Wäre ich stark genug gewesen, hätte ich sie getragen. Als ich diesmal in die Sternennacht taumelte, fühlte ich mich einfach nur erleichtert.
Mein Herz raste, als ich aufwachte. Die Katze war weg und meine Beine waren der Kälte ausgesetzt. Momo schlief tief und fest, die anderen Moas ebenso. Nicht ein Pieps war zu hören. Ich lag regungslos da und versuchte, mich zu beruhigen.
Ich versuchte, mir einzureden, dass mir meine Fantasie einen Streich gespielt hatte. Ich konzentrierte mich so sehr auf diesen Gedanken, dass ich meinen Augen nicht traute, als ich einen Schatten sah, der sich von der hinteren Wand des Stalls losriss und auf mich zu kroch.
Das passiert nicht, dachte ich mir. Ich versuchte, normal zu atmen. Das passiert nicht.
Irgendetwas hob meinen Fuß und legte ihn beiseite. Ich hörte ein Klimpern und ein leises Rascheln.
Irgendwer durchwühlte meine Sachen.