Alles oder Nichts: Requiem mit Rytlock
ArenaNet hat auf der offiziellen Webseite ein neues Projekt veröffentlicht. In Alles oder Nichts: Requiem werden Kurzgeschichten von drei Charakteren der Drachenwacht veröffentlicht. Sie sollen die Gefühle der Charaktere nach den Ereignissen der Episode zusammenfassen.
In der ersten Ausgabe wurde dabei die Geschichte von Rytlock Brimstone veröffentlicht. Im Folgenden haben wir für euch die komplette Geschichte zusammengesammelt.
Alles oder Nichts: Requiem mit Rytlock
In der Geschichte erfahren wir mehr über Rytlocks Sicht auf die Ereigenisse, aber auch aus seiner Vergangenheit. Wie er aufgewachsen ist, was es mit Sonothin auf sich hat und wie er zum Tribune wurde. Alles wird dabei jedoch aus einer sehr zweifelnden Sicht betrachtet.
„Ich weiß nicht.“
Die Worte trafen mich in die Brust wie drei Geschosse – wie die stacheligen Geschosse der Eisen-Legion, die zersplittern und sich im Brustbein einnisten.
Wir starrten. Nicht auf den Körper, sondern auf den Kommandeur. Wie lautete der Plan? Die nächste große Idee?
Es gab immer noch einen Plan.
Dieser hätte ein Triumph sein sollen, unser finaler Schlag. Verflammt, selbst die Prophezeiung war auf unserer Seite! Und dann war es vorbei.
Aurene war tot und die Drachenwacht erledigt. Genau wie die Klinge des Schicksals.
Ich konnte es nicht aufhalten, genau wie beim letzten Mal.
Aurene war tot, Kralkatorrik war fort. Einfach fort. Zurück in den Nebeln, ohne eine Möglichkeit, ihn aufzuspüren.
Mein Kopf, in den sich ein ganzes Leben des Trainings für die Blut-Legion gebrannt hatte, sagte mir, dass ich Sohothin nehmen und diesen verdammten Drachen trotzdem verfolgen sollte. Verfolgen. Vernichten. Kein Zögern, keine Angst.
Ich hätte mehr tun können. Ich hätte mehr tun müssen. Vor elf Jahren hatte ich gesehen, wie Glint vom Himmel stürzte. Heute war ich Zeuge, wie Kralkatorrik unsere letzte Hoffnung ermordete.
Auch Caithe war da. Ich dachte, sie würde das gleiche fühlen wie ich. Sie war beim ersten Mal da. Sie war da, als Snaff …
Ich dachte, sie wäre wütend.
Doch das war sie nicht. Der Kommandeur ging zu ihr, neben den verdrehten Kadaver, den Kralkatorrik zurückgelassen hatte: Aurene. Sie war aufgespießt, für immer in ihrem Todeskampf erstarrt.
Ich sah Tränen, aber keinen Zorn. Wo war ihr Zorn?
Wie lautete der Plan? Wie sollten wir den Sieg erringen?
Caithe, der Kommandeur, Taimi, Braham – sie alle trauerten um den toten Drachen. Keine Spur von Wut über den Drachen, der entkommen war.
Wie konnten sie nur um einen Drachen trauern?
„Ihr müsst mir vertrauen, Rytlock.“
Wie oft hatte ich das schon vom Kommandeur gehört?
Dieser Plan war nie etwas anderes gewesen als dumm. Einen Drachen von klein auf großziehen, damit er einen anderen tötet und irgendein vorhergesagtes Schicksal erfüllt?
Charr ziehen ja nicht mal ihre eigenen Jungen groß. Wie soll jemand einen Drachen aufziehen?
Es war immer ein dummer Plan, doch ich habe mitgemacht. Es war keine Frage des Vertrauens.
Nein, es ging um Loyalität.
Charr sind ihrem Trupp gegenüber loyal, ihren Waffenbrüdern und -schwestern.
Diese Bande, die im Kampf geschmiedet werden, sind stärker als Blut. Doch in den Fahrar bringt man uns auch bei, dass man Gefährten aus dem Trupp verlieren wird. Für das höhere Wohl. Der Sieg geht über alles. Ehre dem Trupp, Ruhm den Hoch-Legionen. Todbringer nennt sie „hinnehmbare Verluste“.
Klar.
Die Klinge des Schicksals. Die Drachenwacht. Sie sind seit mehr als einem Jahrzehnt meine Trupps, meine Familie. Sie sind mir gegenüber loyal gewesen. Und ich habe versucht, ihnen gegenüber loyal zu sein. Sie haben darauf vertraut, dass ich den Sieg über alles erringe. Doch selbst mit hinnehmbaren Verlusten habe ich nicht genug getan.
Kralkatorrik ist in den Nebeln. Bald wird er entweder die ganze Welt brandmarken – oder die Nebel verschlingen.
Also jagen wir ihn und töten ihn. Einfach, oder?
Nein, nicht wirklich.
Aurene war die einzige Möglichkeit, Tyria zu retten.
Sie sollte den Kristalldrachen töten, seine Magie absorbieren und – ich weiß nicht. Es ist ja nicht so, als hätten wir bessere Optionen gehabt. Jeder andere Plan endet mit der Vernichtung aller Existenz.
Selbst wenn wir es irgendwie geschafft hätten, Kralkatorrik ohne sie zu töten, wäre da noch die ganze Magie in ihm gewesen – die Magie von Zhaitan, Mordremoth und Balthasar …
Der Knall wäre nicht sehr schön.
All meine Freunde, meine Familie – sie werden in dieser verdammten Welt sterben, weil ich ein Versager bin.
Das bin ich immer gewesen.
„Rytling! Rytling! Rytling!“
Dieser verfluchte Chor aus Stimmen umgab mich wieder. Offene Handflächen, die mich zu Boden drücken. Klauenbewehrte Füße, die mich treten, während ich am Boden liege. Und irgendwo hinter all dem ist meine Stimme – klein und einsam – die schreit, dass sie aufhören sollen. Sie tun es nicht. Sie hören erst auf, als ich aufwache.
Ich wusste, ich würde es ihnen eines Tages heimzahlen. Ich und meine Freunde würden dafür sorgen, dass sie alle aufhören – wir würden ihnen wehtun, so wie sie uns wehgetan haben. Ich wurde der Anführer meines Trupps. Ich trainierte jeden Tag. Ich metzelte zahllose Feinde nieder. Ich war eine Legende unter den Charr.
Sie schlugen mich nieder, doch ich stand immer wieder auf.
Davon träume ich nie. Warum kann ich nicht auch davon träumen?
Ich war der Kümmerling meines Wurfs. Ich würde immer der Kümmerling im Wurf bleiben, egal wie viele Feinde ich in Stücke riss und wie viele Alt-Drachen ich tötete. Selbst als Khan-Ur blieb ich noch immer Rytling.
Das konnte ich nicht ändern. Mir blieb nur, wieder aufzustehen, wenn sie mich zu Boden gestoßen hatten. Doch selbst als ich diese Stimmen für immer zum Schweigen gebracht hatte, aus meinen Kopf sind sie niemals verschwunden. Oder aus meinen Albträumen.
Erst als ich Sohothin fand.
Ich hatte immer gedacht, dass es eher eine Aufgabe für die Asche-Legion wäre, die Flammen-Legion zu infiltrieren und Gaheron Baelfeuers Mission von innen heraus zu sabotieren. Das würde normalerweise bedeuten, einen Boten zur Schwarzen Zitadelle zu schicken, um eine gemeinsame Operation vorzubereiten, doch Imperator Todbringer traute der Asche-Legion nicht. Er traut ihr noch immer nicht.
Eigentlich traut er niemandem.
Er hat nur uns zwei losgeschickt. Mich und Crecia. Sie war wie eines dieser Messer aus Cantha-Porzellan – makellos und scharf genug, um einen in Stücke zu schneiden.
Cre war laut Todbringer perfekt für diese Aufgabe geeignet. Er meinte dabei die Tatsache, dass sie eine Frau war. Baelfeuer würde es nicht kommen sehen. Er würde nicht ahnen, dass sie eine getarnte Kriegerin der Blut-Legion war.
Er hatte recht – brennen soll er, Todbringer hat für gewöhnlich recht. In die Garnison zu gelangen, war einfach. Vielleicht wäre die Mission selbst auch einfach gewesen, wenn ich nicht die meiste Zeit damit verbracht hätte, zu vermeiden, jeden zu töten, der mir über den Weg lief. Das war schwer.
Crecia war besser. Sie vergiftete Nahrung, stahl Pläne, vertauschte Befehle – die Flammen-Legion war vollkommen ahnungslos. Dann erfuhren wir Neuigkeiten. Etwas Großes ging durch die Ränge.
Die Flammen-Legion hatte etwas gefunden und brachte es zu unserer Garnison. Etwas Unglaubliches.
Sie hatten Sohothin gefunden.
Ich versuchte, mehr zu erfahren, doch Herumschleichen und Informationsbeschaffung waren nicht gerade meine Stärke. Hier ist, was wir beide herausfinden konnten: Die Flammen-Legion hatte Truppen zum Feuerring entsandt, die nach einem uralten Relikt suchen sollten, das einem Menschenprinzen namens Rurik gehörte. Bei dem Relikt sollte es sich um ein Geschenk von Balthasar, dem Kriegsgott der Menschen, gehandelt haben.
Als wir hörten, dass das Schwert aus unserer Garnison in Richtung Feuerherzhügel gebracht wurde, um es Imperator Baelfeuer persönlich zu überbringen …
Nun, das konnte ich nicht zulassen.
Natürlich konnte ich es nicht einfach stehlen. Ich musste meiner Truppkameradin von meinen Plänen erzählen. Doch Cre machte ihre Sache zu gut, um alles zurückzulassen.
Als ich ihr erzählte, was ich vorhatte, sagte sie mir, dass ich draufgehen und sie vermutlich ebenfalls in Gefahr bringen würde. Wenn man mich erwischte, würde es nicht lange dauern, bis sie herausfanden, welchem Imperator wir wirklich unterstanden.
Doch ich war jung. Ich konnte nicht zulassen, dass Baelfeuer Sohothin in seine Klauen bekam, und mein Kopf war voller …
Ich war jung. Wir waren jung.
Ich tat das, was ich glaubte, tun zu müssen. Ich tötete die Wachen, die Sohothin bewachten, und nahm das Schwert an mich. Ich flehte Crecia an, mit mir zu kommen. Vielleicht hat sie sogar drüber nachgedacht. Ich werde es nie erfahren, denn sie kam nicht mit – sie versetzte mir mit einem Schälmesser einen Stich ins Bein, um mich langsamer zu machen, und löste den Alarm aus. Später sagte sie Todbringer, dass sie es „gut aussehen“ lassen wollte.
Ich kann nicht behaupten, dass ich es damals zu würdigen wusste, auch wenn es funktioniert hat. Sie erhielt ihre Tarnung noch Jahre nach meiner Flucht aufrecht.
Manchmal denke ich an sie – an ihre feinen Züge und scharfen Kanten. Die Narbe an meinem Bein erinnert mich daran, was ich getan habe. Ich frage mich noch immer, ob Cre einer dieser „hinnehmbarenen Verluste“ war, von denen unsere Lehrer im Fahrar so gerne sprachen.
Doch am Ende hatte ich Sohothin.
Das war alles, was zählte.
Imperator Todbringer war nicht begeistert, dass ich meine Tarnung hatte auffliegen lassen. Doch dass ich Baelfeuers Geheimwaffe gestohlen hatte, besserte seine Laune.
Nun da ich zurück bei meinem Stone-Trupp war, entschied sich Todbringer, uns beim nächsten großen Angriff an vorderster Front aufzustellen – allen voran mich und Sohothin.
Er wollte, dass die Flammen-Legion ihr kostbares Artefakt in den Klauen des Gegners sieht.
Er wollte, dass die Flammen-Legion sieht, wie ihre Krieger von seiner Magie niedergemäht werden.
Er wollte, dass die Flammen-Legion das Feuer fürchtet.
Und das taten sie. Kampf für Kampf machte Sohothin die feindlichen Linien nieder. Die Pfeile der Feinde, ihre Klingen, ihre Magie – sie schleuderten mich zu Boden, doch ich stand immer wieder auf.
Meine Legende wuchs. Meine Kraft wuchs. Mein Trupp … ging auf Distanz zu mir.
Doch für mich spielte das keine Rolle. Ich hatte Sohothin und war nicht aufzuhalten.
Ich gewann einen Kampf nach dem anderen und steckte diese Eiferer der Flammen-Legion wie Zunder in Brand. Rytlock Brimstone war der am meisten gefürchtete Charr auf dem Schlachtfeld.
Meine Vorgesetzten versuchten, mich herumzukommandieren, mich unten zu halten. Doch mit Sohothin würde mich niemand mehr herumschubsen.
Das gefiel meinen Vorgesetzten nicht so gut.
„Ich sollte Euch hinrichten lassen, wisst Ihr?“
Ich erinnere mich, wie Todbringers Augen in der spärlich beleuchteten Kammer der Blutzitadelle leuchteten und seine Zähne aufblitzten. Er behauptete, ich würde keine Befehle befolgen und brächte meine Charr-Kameraden in Gefahr – ich würde glauben, ich sei besser als er.
Ich sagte ihm, dass ich eine Meinung zu meinen Befehlen hätte.
„Auf dem Schlachtfeld?“, spottete er. „Das ist ein schlechter Ort, um eine Meinung zu haben.“
Die nächsten Worte aus meinem Mund waren ein Fehler. „Nur, wenn wir verlieren“, entgegnete ich. „Bisher habe ich noch keine verlorene Schlacht gekämpft.“
Todbringer erhob sich von seinem Thron. Ich versuchte, aufrechter zu stehen, würdevoll.
„Nun, Ihr befindet Euch gerade in einer.“
Ich biss die Zähne zusammen. Ich wusste, was als Nächstes kommen würde. Oder zumindest dachte ich das.
„Ihr werdet kein Gladium werden“, sagte Todbringer. „Ich werde Euch befördern.“
Ich war verwirrt, entgegnete jedoch, dass ich mich geehrt fühle. Das war ebenfalls ein Fehler.
Todbringer zeigte mir ein schweres Stück Pergament, das gefaltet und mit Wachs versiegelt war. „Ihr werdet Euch auf einen kleinen Rundgang durch die Legionen begeben“, fuhr er fort. „Vielleicht wird Eure motivierende Präsenz ihnen dieselben Siege einbringen, die Ihr uns eingebracht habt.“
Richtet mich einfach hin. Die anderen Legionen? Sie kämpfen nicht wie die Blut-Legion. Die Eisen-Legion versteckt sich hinter ihren Maschinen. Die Asche-Legion schleicht in den Schatten herum. Doch er ließ nicht mit sich reden. Todbringer gefiel der Gedanke, mich in meinem Elend zu sehen, mehr als ein Sieg.
All meine Siege, all das Blut, das ich im Namen meiner Legion vergossen hatte – in diesem Moment hatten sie keine Bedeutung.
Ich hätte nie gedacht, dass ich mich jemals wieder so ohnmächtig fühlen würde.
Ich war dort, in der Kristallwüste. Die Sande waren Glas. Ich blickte nach rechts: Glints Leiche. Ich blickte nach links: Ihre Zuflucht, nur eine zerstörte Ruine. Und vor mir: Snaff.
Das, was von ihm übrig war.
Ich hätte mehr tun können, um den kleinen Asura zu retten. Wenn ich nicht so darauf fixiert gewesen wäre, den Kristalldrachen zu töten, hätte ich gesehen, wie die Gebrandmarkten ihn überrennen.
All die Macht von Sohothin und doch wurde Snaff direkt vor meinen Augen in Stücke gerissen.
Doch ich habe nichts gelernt. Ich habe nie gelernt. Ich musste mehr Fehler machen. Mehr Leute mussten sterben.
Ich musste erst auf den Gott des Krieges und des Feuers treffen, bevor diese Lektion in meinen Dickschädel drang.
„Ist das Euer Schwert?“
In den Nebeln wurde die Stimme des Fremden weit getragen. Sie war tief und kräftig – vielleicht war er zu Lebzeiten ein großer Fürst gewesen, der irgendjemanden verärgert hatte, den er lieber nicht hätte verärgern sollen, und der nun in diesem Ödland in Ketten lag. Für mich spielte das keine Rolle.
Mein Blick war auf das Schwert gerichtet, das tief im Stein vergraben und dessen Flamme längst erloschen war. Endlich war mein Ziel in Sicht – wie lange hatte es gedauert? In den Nebeln vergeht die Zeit auf seltsame Weise.
„Ich frage nur“, sagte der Fremde, „weil es aussieht, als hätte Sohotin sein Feuer verloren.“
Ich hielt inne. Vielleicht war es auch nur mein Herz, das inne hielt.
„Woher kennt Ihr seinen Namen?“
Der Fremde lächelte. Auch Leute sind in den Nebeln seltsam.
„Wer kennt Sohothin nicht?“, fragte er. „Das legendäre Schwert des Feuers und Krieges, in den Händen eines Charr.“
Dinge sprechen sich anscheinend herum. Er bot an, es wieder zu entzünden.
Ich hätte es wissen müssen. Das war der Moment, in dem ich es hätte wissen müssen. Ich Idiot.
Doch es war auch der Moment, in dem mir klar wurde, dass ich Sohothin zurückbekommen konnte. Es kam mir vor, als wäre ich ein ganzes Leben lang die Nebel durchwandert, uralte Kämpfe, die sich endlos wiederholen – und jetzt bestand die Chance, das Licht zurückzuholen. Mein Licht.
Ich fragte nicht danach, wer er war oder warum er in Ketten lag. Ich wollte einfach nur mein Leben zurück.
„Ihr könnt es wieder entzünden?“
Der Fremde hob seinen Arm – und die Flamme in Solothin wurde entfacht und drang durch die Finsternis der Nebel.
Es hätte mir auffallen müssen, mit welcher Leichtigkeit seine Muskeln das Gewicht der Ketten ignorierten. Mir hätte das hungrige Flackern der Flamme in seinen Augen auffallen müssen.
Doch wie viel habe ich wirklich gesehen? Wie viel will ich einfach nur gesehen haben?
Funken und Asche flogen herum, als ich das Schwert aus dem Stein zog. Die Wärme der Klinge fühlte sich vertraut an. Jetzt lächelte auch ich. Mit Sohothin schien alles stets etwas einfacher zu sein.
„Dieses Schwert ist wirklich ein Wunder“, bemerkte der Fremde. „Ich sehe, wie Ihr es anschaut. Ihr wisst zu schätzen, wie besonders es ist.“
Ich erklärte ihm, dass es seine Arbeit gut mache, doch ich werde nicht lügen. Ein Teil von mir fühlte sich bestätigt. Der Fremde antwortete nicht, sondern hob beide Arme hoch und spannte seine Ketten.
Und dann befreite ich ihn.
Es war meine Schuld. Alles, was danach geschah – das alles geschah nur, weil ich dieses verdammte Schwert wiederhaben wollte.
Ich redete mir ein, dass ich es wollte, um Ascalon von seinem Fluch zu befreien, doch diese Ausrede währte nicht lange. Ich wollte Sohothin, weil es meins war. Weil ich es verdient hatte. Oder zumindest dafür bezahlthatte.
Als der Fremde … als Balthasar bemerkte, wie ich das Schwert ansah, konnte er da sehen, was ich ohne Schwert von mir hielt?
Nachdem ich ihn befreit hatte, machte er sich auf den Weg nach Elona. Er tötete Vlast, er ermordete den Kommandeur. Er ging einen Handel mit Joko ein. Und vernichtete beinahe die Welt.
Alles nur, weil ich dieses verdammte Schwert wiederhaben wollte.
Es war meine Schuld.
Und nun bin ich genauso machtlos, wie ich es damals war. Ich konnte nicht verhindern, dass Logan geht. Ich konnte Snaff nicht retten. Ich konnte die Klinge des Schicksals nicht retten, oder Vlast … oder Aurene.
Was bin ich schon ohne Sohothin? Wer ist Rytlock Brimstone ohne das legendäre Feuerschwert? Wäre ich noch immer ein Tribun? Wäre ich noch immer in den Hoch-Legionen bekannt?
Würde ich sterben, und jemand anderes würde das Schwert an sich nehmen, könnte diese Person es besser machen?
Ich sah mich in den Ruinen der Feste Donnerkopf um. Ich sah zum Kommandeur. Zu Caithe. Taimi, Braham.
Meinen Verbündeten. Meinen Freunden. Meiner Familie.
Doch da war mehr. Da war ein Gedanke, tief verborgen in meinem Hinterkopf.
Die Jungen, die ich nie sehe.
Ich habe sie vor Jahren ins Fahrar geschickt. So tun wir das.
Es war nicht vorgesehen, dass ich ein Teil ihres Lebens bin, doch das fühlte sich immer … falsch an. Meine Eltern haben mich mir selbst überlassen. Ein Kümmerling kann im Fahrar nur überleben, wenn er mit Klauen und Zähnen seine eigenen Kämpfe austrägt.
Und doch. Dann und wann sehe ich nach ihnen. Einfach nur, um zu sehen, wie sie sich machen. Um sicherzugehen, dass sie sich von Ärger fernhalten – und dass ihnen keiner Probleme bereitet.
Ich werde sie nie wieder sehen. Sie werden zum Himmel blicken, wenn die Nebel verschwinden und alles endet. Wird ihr Trupp da sein, um ihnen zu helfen? Sie sind zu jung – sie haben noch nicht einmal den Fahrar verlassen. Sie werden sterben, ohne die Kameradschaft eines Trupps erfahren zu haben.
Einer Familie.
Und mein Ältester, mein Erstgeborener. Würde er überhaupt an mich denken, wenn die Welt untergeht?
In diesem Moment kamen die Tränen. Endlich.
Mir wurde klar, warum Caithe weinte. Warum der Kommandeur weinte. Für sie war Aurene nicht nur ein Drache.
Sie war ihnen eine Tochter.
Vor elf Jahren stand ich in der Kristallwüste und erkannte, wie machtlos ich wirklich war. Obwohl ich Sohothin hatte, brach alles auseinander. Kralkatorrik entkam. Entweder starben meine Freunde oder sie verließen mich.
Meine Vorgesetzten nennen das hinnehmbare Verluste.
Mein ganzes Leben lang wurde mir vermittelt, dass der Trupp meine Familie war und die Hoch-Legionen über allem standen. Alles, was ich tat, jeder Sieg, den ich errang – das alles war für sie. Alles, was ich opfern musste, war ein hinnehmbarer Verlust.
Doch diese Opfer sind nicht hinnehmbar. Nicht, wenn ich immer wieder Personen verliere, die mir wichtig sind. Meine Kameraden. Meine Freunde.
Meine Jungen.
Das würde ich niemals zulassen. Brennen sollen die Hoch-Legionen. Zu Asche verbrennen sollen sie.
Ich kenne meine Jungen kaum, doch wenn Kralkatorrik eines von ihnen bedrohen würde – ich würde ohne zu zögern mein verdammtes Schwert opfern.
Ich würde mich vor sie werfen.
Ich würde für sie sterben.
Ich schätze, ich verstehe es nun.
„Rytlock?“ Logan. Seine Stimme bringt mich zurück in die Gegenwart. „Ich habe gesehen, wie Ihr umhergegangen seid.“
Das bin ich. Durch die ganze Feste Donnerkopf. Und nun hocke ich auf einem Stück Mauerwerk, fern von den anderen, und verstecke mich in den Schatten. Ich dachte, ich wäre schwer zu finden. Da lag ich wohl falsch.
„Ich denke nur nach.“
„Ach ja.“ Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Logan etwas hochhievt. „Ihr habt das bei Aurenes … bei Aurene liegen lassen.“
Es ist Sohothin. Ich kann mich nicht daran erinnern, es irgendwo liegen gelassen zu haben, also wende ich mich dem Schwert und Logan zu und überlege, was ich sagen könnte.
Mir fällt nichts ein, bis er schließlich das Schwert gegen die Wand lehnt und sich umdreht, um zu gehen.
„Logan, ich …“
Logan hält inne. „Ja?“
Er wartet. Er ist geduldig – das muss ich ihm lassen. Ich weiß nicht, wie lange er dort steht wie bei einer Belagerung. Einer freundlichen Belagerung. Ich werfe einen flüchtigen Blick auf das Schwert.
„Ich hab es nicht gebraucht.“
Erneutes Schweigen. Diesmal länger. „Kommt.“, sagt er. „Lasst uns nach den anderen sehen. Sie brauchen uns.“
Wie kann ich dem widersprechen, nach all dem, was passiert ist?
Ich bin im Begriff zu gehen, doch Logans Hand weilt auf meiner Schulter. „Rytlock. Euer Schwert.“
Es ist mehr als ein Schwert, so viel weiß ich. Ich habe vor langer Zeit entschieden, dass mir Sohothin wichtiger war als Cre, die ich zurückgelassen hatte. Ich hatte mich entschlossen, dass es wichtiger war, anstelle einer Familie Sohothin an meiner Seite zu haben.
Doch ich könnte jedes verdammte Ding in der Welt töten. Ich könnte als der nächste Khan-Ur über alle vier Legionen herrschen und wäre doch nie glücklich. Ich wäre niemals würdig.
Ich könnte die Welt nicht in Ordnung bringen. Ich konnte ja nicht mal mich in Ordnung bringen.
Also gehe ich weiter. „Das brauche ich nicht“, sage ich erneut. „Es ist nur ein Schwert. Es wird hier sein, wenn ich zurückkomme.“
Logan wirkt skeptisch. „Seid Ihr Euch sicher?“
Selbst mit Sohothin werde ich nie so stark sein, wie ich sein muss.
Doch machtlos bin ich auch nicht. Nicht solange ich sie habe. Meinen Trupp – meine Familie.
Nicht solange ich noch für sie kämpfen kann.
„Ja. Das ist schon in Ordnung.“
Ich finde die Idee mit dem Requiem ziemlich cool und ich finde es schön einen Einblick in die Gedanken der anderen Charaktere zu bekommen.
Gerade Rytlock finde ich immer schwer zu durchschauen. Der Text lässt ihn ein bisschen sympathischer wirken und nicht wie den Charr, der nur am Krieg interessiert ist.
Ich bin schon gespannt auf die nächste Geschichte:)
Das Bild ist so schlecht. X) Reddit hat recht -> Skrittlock